„Ich haßte die Monotonie ihrer Blöcke und Straßen, die ihren Namen zweisprachig anzeigten (trotzdem verirrten sich Fremde, die eine Adresse suchten, wie im Labyrinth), und die jahrelang ungepflasterten Plätze, die im Herbst verschlammten und sommers Sandfahnen schleppten im böigen Wind, und das schwitzende Gedränge in der Kaufhalle, nach Feierabend, und an den Kassen, wo du deine Tasche vorzeigen mußtest - „unaufgefordert" verlangte ein Schild -, und Sirenengeheul bei Tag und Nacht und die Lautsprecherwagen mit Marschmusik, die gequäkten Plakate statt Litfaßsäulen, die dröhnende Werbung für Fußball, Kreismeisterschaft, Boxmatch und NAW, Schlagerstars und Sparsamkeit beim Wasserverbrauch."
Quelle: Franziska Linkerhand : Roman. - Berlin : Aufbau-Taschenbuch-Verl., 2013. - ISBN: 978-3-7466-1535-6. - S. 516.
Der von Professor Richard Paulick, Entwicklungsbüro für Stadt- und Dorfplanung Halle/Saale, vorgelegte Gestaltungsentwurf für die Neustadt, der den Sieg in einem deutschlandweiten Wettbewerb errang, sah sieben Wohnviertel vor. Alle beiderseits der Hauptverkehrsachse „Magistrale" (heute: Bautzener Allee) angeordnet, von der aus der Verkehr zu und von den Arbeitsorten sich vollzog.
Von der Magistrale führte jeweils eine „Grünachse" (ausschließlich fußläufig) durchs Viertel zum „Versorgungszentrum", zu Schule, Kindergarten, Hort und Krippe. Dem angeblichen Ruhebedürfnis entsprechend, verlief keine weitere Hauptstraße innerhalb bzw. durch eines der Viertel, so dass bei Störung der Magistrale der Durchgangsverkehr innerhalb der Stadt zusammenzubrechen drohte. Individualverkehr war nicht vorgesehen „Die Straßen ignorierten die Erfindung des Autos", sagte Brigitte Reimann dazu.
„Draußen Trommeln und Fanfaren, man übt Feststimmung. [...] Man ist wehrlos ausgeliefert dieser Stadt und ihrem sozialistischen Lärm. Ich mache Gegenlärm mit Armstrong und Mulligan - die waren damals wenigstens verboten."
Quelle: Reimann, Brigitte: Alles schmeckt nach Abschied. - Berlin : Aufbau-Verl., 1998. - ISBN: 3-351-02836-9. - 30.04.1965, S. 124.
„Sonntag war Bergmannstag. Unter dem Fenster lärmte ein Jahrmarkt, auf dem Platz, wo 1970 unser Theater gebaut werden soll. Neulich sagte der Professor, daß ein Wettbewerb um die Projektierung des Zentrums ausgeschrieben werde. Aber müßte ein Architekt nicht sehr genau die geistige und soziale Struktur der Stadt kennen, bevor er ihr die Räume für Erholung und Begegnung entwirft? Möglich, daß ein anspruchsvolles Theater leer stehen würde; wahrscheinlich brauchten wir etwas in der Art zwischen Theater, Kino und Konzertcafé. Wir träumen immer noch von einem unbestechlich arbeitenden Forscherteam: Soziologen, Ökonomen, Künstlern und Kybernetikern..."
Quelle: Reimann, Brigitte: Das grüne Licht der Steppen. - Berlin : Aufbau-Taschenbuch-Verl., 2004. - ISBN: 3-7466-1534-8. - S. 10.
„...Nachmittags liefen wir auf dem Rummel herum, zwischen Waffelbuden und Schimmel und Schwan, und das war noch lustiger, als aus einem Fenster im 7. Stock zuzuschauen: wir hörten hundertmal denselben Schlager aus der „Westside-Story" und amüsierten uns vor einer Schaubude,...
...Es gab Zuckerwatte und Karussels und einen Fotografen mit einem ausgestopften Löwen, und wir fühlten uns ein bißchen wie früher auf den lauten, bunten, reißerischen Jahrmärkten unserer Kindheit...."
Quelle: Reimann, Brigitte: Das grüne Licht der Steppen. - Berlin : Aufbau-Taschenbuch-Verl., 2004. - ISBN: 3-7466-1534-8. - S. 12.
Als Kernstück der neuen Stadt war in der Mitte der sieben Wohnkomplexe an der Magistrale ein Platz ausgespart, auf dem Stadtverwaltung, Kulturhaus, Theater, Schwimmhalle, Kaufhaus usw. untergebracht werden sollten. Nachdem 1968 das Centrum-Warenhaus errichtet war, wichen die Stadt-Erbauer immer mehr von jener Konzeption ab.
Seit 1975 wurde verstärkt Wohnungsbau mit elfstöckigen Häusern um eine unbefestigte Sandfläche betrieben, die - entsprechend damaliger Vorstellung - als „Aufmarschplatz" bei „gesellschaftlichen Höhepunkten der DDR" vorgesehen war. Brigitte Reimanns Ehemann Hans K. wohnte in dem Haus „Magistrale" 49 (heute: Bautzener Allee). Die Fenster der Wohnung blickten genau auf den „Festplatz", das leere „Stadtzentrum", auf dem Rummel und Aufmärsche stattfanden.
„Das Stadtzentrum soll nun doch, eventuell, wahrscheinlich, im nächsten oder übernächsten Jahr. Die ersten Baubuden am Manegeplatz. Klingt nicht schlecht, wie?..."
„Trotzdem haben wir für ein Theater gekämpft; das war mein letzter Streich hier, und die Leute vom Bezirk werden mich jedenfalls in übler Erinnerung behalten. Der Theaterbau war, nachdem Siegfried ihn durchgesetzt hatte (nach jahrelangen Kämpfen) wieder gestrichen worden. Cottbus will ein repräsentatives Zentrum bauen, auch auf unsere Kosten. Wir beschwerten uns beim Staatsrat, ich schrieb an Gotsche - [...] jedenfalls soll das Theater nun doch gebaut werden. Aber der Bezirk ist sauer; die Dreistigkeit, zum Staatsrat zu gehen, wird mir als angeblicher Initiatorin angelastet („organisierte Aktion"),..."
Quelle: Reimann, Brigitte: Alles schmeckt nach Abschied. - Berlin : Aufbau-Verl., 1998. - ISBN: 3-351-02836-9. - 9.08.1968, S. 212 ff.
„...Was wird schon sein? Ein paar Wohnscheiben, ein standardisiertes Restaurant, ein Aufmarschplatz, die übliche Zigarrenkiste für Rat und Kreisleitung... Und meine Bummelstraße, die tröstliche, atmende, hundertäugige Doppelzeile von Trottoirs und Schaufenstern, in der du allein sein kannst, aber unter Leuten, und in der ein Schritt, ein Blick der Anfang einer Geschichte sein kann, die vielleicht geschrieben wird, vielleicht schon zu Ende ist, eh du den ersten Satz buchstabiert hast, - meine Passage unter gläsernem Himmel?"
Quelle: Franziska Linkerhand : Roman. - Berlin : Aufbau-Taschenbuch-Verl., 2013. - ISBN: 978-3-7466-1535-6. - S. 515.
Ein Theaterbau war, auf einen gemeinschaftlichen Brief des „Freundeskreises der Künste und Literatur" (heute: Hoyerswerdaer Kunstverein) mit Brigitte Reimann im Frühjahr 1968 an den Staatsratschef W. Ulbricht hin, forden 01.04.1973 zugesagt worden. Dieses Versprechen wurde nicht eingehalten.
Das Kombinat Schwarze Pumpe erbaute 1977-84 dann fast in Etgenirv itiative das „Haus der Berg- und Energiearbeiter" (heute: Lausitzhalle), Dies wurde 1990/91, nach dem Zusammenbruch der DDR, von der Stadt übernommen und in eine GmbH uberführt.
Ein „Stadtzentrum der Neustadt" wurde dieser Platz erst 1994/95 mit dem Bau des Lausitz-Centers durch ECE Hamburg.
Quelle der sonstigen Texte und Photos: Brigitte Reimann - Spaziergang durch Hoyerswerda / [Hrsg.: Hoyerswerdaer Kunstverein e.V., Freundeskreis der Künste und Literatur. Red.: Helene und Martin Schmidt. Zitate: Brigitte Reimann]. - Hoyerswerda : Hoyerswerdaer Kunstverein, 2003. - ISBN: 3-9808957-1-8. - S. 10 - 15.